Gefühle binden uns

Gefühle binden uns. Aber wie machen sie das?

Was sorgt für eine stabile Bindung zwischen Menschen, die über Familie oder Freundschaft oder Beruf zusammenkommen? Es ist ein Gefühl, zusammen zu gehören, auf positive Weise voneinander abhängig zu sein. Eine positive Anghängigkeit. Das klingt fast nach einem Paradox. Können Gefühle abhängig machen? Positiv abhängig machen? Wie tun sie das?

    Gefühle sein kein greifbares Ding. Sie sind ein erlebbarer Zustand, zusammengesetzt aus Informationsübertragungen in unserem Körper, die uns lenken: Hin zu, weg von. Gefühle sorgen für unser Überleben, denn ohne ›Lust auf‹ oder ›Angst vor‹ oder ›Ekel vor‹ oder ›Wut auf‹ oder ›Freude über‹ hätte unser Organismus keinen Orientierungspunkt zur inneren und äußeren Ausrichtung. Insofern sind Gefühle ein materieller Zustand aus Informationen, die uns helfen, uns selbst zu orientieren. Gefühle reagieren auf unsere Wahrnehmungen und steuern uns, aber natürlich steuern auch wir die Gefühle. Wir können sie verstärken oder unterdrücken. Wir kontrollieren sie oder manipulieren sie sogar. Die Gefühle sind unsere Schutzbefohlenen, die uns gleichzeitg ihrerseits Befehle geben. Denn der Angst vor einem Feuer könnten wir nicht sagen: “Ich nehme dich jetzt nicht wahr, ich unterdrücke dich.“ Zumindest dürfte das selbst für erprobete Feuerwehrleute nicht leicht sein.
    Denn Gefühle sind über die Amygdala an unser Reptilienhirn (Limbisches System)  gekoppelt, jendem evolutionären Gehirnteil also, den wir nicht immer leicht kontrollieren können, weil es in gewissem Sinn ein Eigenleben führt, autonom regiert. Und den wir doch immer wieder auch kontrollieren müssen, um nicht einer Flut aus Emotionen ausgeliefert zu sein, die uns kein vernünftiges Handeln mehr erlauben würde. Gefühle unterliegen also unserer Steuerung und steuern uns ebenso autonom, ohne unseren direkten Zugriff.
    Ähnlich funktioniert das auch bei unserem Bindungsverhalten zu anderen Menschen. Wir können und wollen es steuern. Aber ebenso werden wir auch gesteuert: es zieht uns zu jemandem hin, den wir anziehend finden. Wir ziehen diesen Menschen nicht selber an, willkürgesteuert, sondern können nur hoffen, dass dieser Mensch uns ebenso anziehend findet. Ein passiver, unwillkürlicher Vorgang. Wir können uns diesem Vorgang erwehren, z.B. weil wir dem anziehenden Menschen aus diversen Gründen doch nicht so vertrauen, wie wir es gerne würden, oder weil der anziehende Mensch vielleicht nicht unseren Vorstellungen von Status und sozialer Passung entspricht. Klar ist aber: das Ganze wird immer ein Für und Wider sein, ein Hin zu und Weg von. Denn Gefühle unterliegen beim Menschen leider nicht immer einer instinktiven Eindeutigkeit. Zu stark ist längst der Einfluss unseres Neokortex geworden, der uns ein rationales Abwägen erlaubt und oft genug verordnen will.
    Wann aber haben wir das Gefühl, emotional abhängig zu sein? Und wo ist die Grenze zwischen einem noch positiven Erleben einer emotionalen Beziehung, und wann kippt dieses Erleben in das Leid einer Unterworfenheit, die uns im Zweifelsfall auch physisch krank machen kann? Gefühle haben in gewissem Sinn eine Ähnlichkeit mit Drogen. In kleiner oder mittlerer Dosis sind sie heilsam, in höherer Dosis oft unkontrollierbar und zerstörerisch. Und wie bei Drogen ist die Steuerung dieser Dosis meistens ein Akt der Willensstärke, der inneren Disziplin und Entschlossenheit.
    Doch kontrolliere ich meine Gefühle zu sehr, gefährde ich die eigene Bindungsfähigkeit. Die rationale Abwehr wird eine intime und emotionale Näherung an einen anderen Menschen dann immer wieder verhindern. Wir brauchen also die Kunst des Zulassens bei gleichzeitigem Kontrollieren. Es ist wie bei einem Hochseilakt (im besten Sinne des Wortes…). Wir können nur die Bindung genießen, bis hin zur Verschmelzung, wenn wir gleichzeitig zur Kontrolle darüber fähig sind, nicht ganz hinabzustürzen, dorthin, wo es kein Halten und keinen Halt mehr gibt. Das völlige Loslassen kann immer nur momentweise geschehen, dann sidn wir wieder bei uns selbst, in der Wahrnehmung und Kontrolle unserer eigenen Autonomie.

    Warum aber können uns Gefühle überhaupt an andere Menschen binden? Warum können sie andererseits dazu führen, dass wir uns radikal abwenden, aus Wut und Ent-täuschung? Der Grund liegt in ihrer oben beschriebenen lebenswichtigen Funktion der Selbststeuerung. Ohne Bindung an andere Menschen sind wir schwer lebensfähig. Auch ein Eremit oder einsamer Mönch wird sich innerlich binden, wenn nicht an Menschen, so dann mindestens an spirituelle Vorstellungen. Bindung ist nur über eine gelingende Selbststeuerung im Sinne von Hin zu oder Weg von möglich. Wenn wir zu einem ›Zustand‹ hin wollen (dem der Liebe oder der Lust), wollen wir uns binden. Selbst wenn es in diesem Moment nur ein Stück Schokolade ist, das über seine biochemischen Auswirkungen in unserem Körper, bindungs-ähnliche Vorgänge auslöst. Unsere ›Hin zu - Gefühle‹ sind es also, die uns binden, indem sie dem Körper ein besseres und lustvolleres Überleben signalisieren. Oder das Gegenteil davon. Entziehen können wir uns wie beschrieben, diesem Prozess immer nur teilweise und im möglichst entspannten Zusammenspiel mit unserer rationalen Kontrolle.

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