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Identität und Respekt

 

– systemische Bemerkungen zu zwei (un)bekannten Verwandten 

 

Wer bin ich? Und wenn “derjenige“, warum nicht der andere, welcher…? Mein Körper ist, für sich selbst betrachtet, ebenso “ein anderer“ wie andere Körper, sozusagen nicht-identisch mit einem wiederum anderen Körper, der auch anders ist, als mein Körper. Wenn er aber selbst ›anders‹ ist, als wiederum noch ein “anderer Anderer“, so ist er irgendwie auch ähnlich (denn beide sind “anders“, als ...) – und es fängt, ironisch gesagt, mit Händen, Armen, Mund, Nase und Augen an. Wer hat das nicht. Selbst als ein fehlendes wäre es ein Merkmal – 

 

aber klar … Unsere Identität ist eben (eigentlich…) weniger äußerlich als inhaltlich, jedenfalls aber teilweise ein informativer Ausdruck unserer Geschichte: meine Herkunft, meine Familie und ihr sozialer Status, das Land, wo ich geboren wurde, die Bildung, die ich erreicht habe und mein Lebensweg bis heute. Auch das überwiegend Äußere, unsere Hautfarbe und unsere ethnische Zugehörigkeit, körperliche Gestalt und ihre kulturell geprägte Ausstrahlung, all das lässt sich nicht wegdiskutieren und bestimmt (leider…?) einen wesentlichen Teil dessen, was wir uns immer noch als Identität zuschreiben. Auch wenn die Globalisierung die äußerlichen Unterschiede zunehmend reduziert. Wir tragen eben alle ein Smartphone am Körper. Und was spielt es schon für eine Rolle, ob “sie“ ein Kopftuch trägt oder nicht, wenn sie irgendwann bei der Volksbank oder der Sparkasse am Schalter arbeitet. Oder in einem Start-Up-Unternehmen unter den Programmiererinnen sitzt: Das System des globalen Kapitalismus macht uns eben alle ein Stück weit ähnlicher. Ein Stück weit…

 

Gleichzeitig scheint es schwerer (und unklarer) zu werden, Anhaltspunkte zu finden, wodurch oder wofür wir anderen Menschen Respekt zollen sollten. Einfach dafür, dass sie Menschen sind, wie “du und ich“? Es ist zu befürchten, dass für viele Menschen dieser Zustand der einfach nur menschlichen Identität, im Sinne einer selbst-verständlichen ›Humanität‹ nicht immer ausreicht. Respekt, als systemischer Bestandteil unserer Kommunikation, scheint mehr zu erfordern, als einfach nur “irgendein Mensch“ zu sein, jedenfalls wenn Respekt sich abhebt von einem notgedrungenen Aushalten der MItmenschen in unmittelbarer Nähe oder auch mittelbarer Ferne. 

 

Respekt bezieht sich, dies ist hier meine Vermutung, auf eine verschlungene Weise auf die Identität des jeweiligen Anderen – auf seine kulturelle, soziale, ökonomische, charakterliche und sexuelle (im Sinne der sexuellen Identität) Ausstrahlung. Hier vermuten wir größere oder kleinere Schnittmengen mit den definierenden Werten unseres eigenen Selbst – und seiner Identität. Eine Identität, die von anderen möglichst gleich- oder ähnlich Gesinnten oder Gestimmten respektiert und anerkannt werden soll. Das Erkennen der eigenen und der Identität der Anderen ist insofern ein sprachlicher und symbolischer, ebenso wie ein psychischer und sozialer Vorgang der Wahrnehmung und eben eines zugehörigen “Wiedererkennens“ – verbunden mit entsprechenden Emotionen und emotionalen Ausdrucksformen. 

 

Erkenne ich den anderen in mir selbst wieder, ist jedenfalls die Wahrscheinlichkeit, dass ich diesem Menschen einen gewissen Respekt zolle, hoch. Sehe ich in ihm (dem Anderen…) “nur“ einen Fremden, der wenig oder nichts mit mir gemein hat (außer eben Hände, Füße, Augen), werde ich ihm gegenüber einen gewissen Respekt vermutlich langsamer oder nur unter bestimmten Voraussetzungen entwickeln – was nicht heißt, dass ich mich nicht anständig und höflich verhalte. Aber mein inneres System wird vermutlich nicht sofort diese besondere Art des Respekts entwickeln, die ich gegenüber meinen wie auch immer “ähnlich gestrickten“ Freunden empfinden würde. Respekt scheint also in gewissem Maße auch mit dem Wiedererkennen einer ähnlichen “Gestimmtheit“ zusammenzuhängen. 

 

Es lässt sich hier einwenden, dass Respektlosigkeit gerade auch unter Familien-mitgliedern oder Arbeitskollegen ein häufiges Thema sind. Und das, obwohl hier ähnliche Wertesysteme vorhanden sind und die Identität des anderen sehr nah und verständlich sein müsste

 

Hier hätten wir einen Spezialfall des systemischen “Spiels“ zwischen Identität und Respekt. Denn manchmal führt auch gerade die Ähnlichkeit von Identität zur Abgrenzungs- und Autonomieproblemen, übrigens nicht zuletzt und verstärkt in der westlichen Kultur. Gerade hier nimmt die Familie, ebenso wie auch die Arbeitswelt, zunehmend weniger die Rolle des Identitätsstifters ein – ein Vorgang, der von Psychologen und Soziologen womöglich mit emanzipatorischen Entwicklungen in Verbindung gebracht werden würde: Dort, wo Identität aus patriarchalischen und autoritären Machtmustern entstand und vermittelt wurde, löst sie sich auf in “weichere“ Narrative auf, die auf intra-psychischen Abgrenzungen beruhen – und sucht “sich-selbst“ in neuen Erzählungen des Lebens. 

 

Diese bestehen wiederum häufig im Aufbruch zu neuen (kulturellen) Beziehungs- und Arbeits-Begegnungen. Sogenannte Bi-kulturelle Beziehungen werden im Zeitalter der Globalisierung ebenso deutlich häufiger wie multikultuerelle Freundschaften aller Art und sorgen für neue (wiederum “flüssigere“) Identitätsfindungen. Dadurch wandeln sich auch die Narrative von Beziehung und Freundschaft: Die “Identitäten“ von Liebe, Sexualität und zwischenmenschlichen Begegnungen im Allgemeinen verändern sich mit

 

Einen weiteren Spezialfall des Zusammenspiels zwischen Identität und Respekt finden wir in der Selbst-Entwicklung des Individuums. Die Lebensbiografien im frühen 21. Jahrhundert werden aller Vermutung nach noch stärker von Selbst-Suche und Selbst-Verwirklichung geprägt sein, als das schon seit den 60-iger Jahren des letzten Jahrhunderts zunehmend der Fall war. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Identitätsfindungen im sozialen Status und Beruf, im Wohlstand und in ökonomischer Macht jedenfalls in den westlichen Hemisphären viel weniger bedeutsam sein werden. Die alten Rollenbildern des “homo ökonomikus“ weichen auf, beschleunigt durch die Digitalisierung, die zwar noch lange nicht den Kapitalismus, wohl aber dessen Identitäts-bildende Rolle eindämmt. Will sagen: Identität wird weniger durch Beruf und ökonmischen Erfolg bestimmt sein als früher (und ist es in den jüngeren Generationen heute schon). 

 

Was aber tritt, im Sinne der “Selbstsuche“ an die Stelle des konsumierenden Menschen, der sich der Arbeit hingibt und letztlich für die Rente und das Alter arbeitet, abgedämpft und entschädigt durch gelegentliche Fernreisen und Urlaube, durch Fernsehen und Medienkonsum. Meine Vermutung ist: Vielleicht wird es eine “Renaissance“ kleinerer Soziotope außerhalb der explodierenden Städte geben, wo das Leben bewusst “langsamer“ gestaltet und gesucht wird. Bis dahin könnte es allseits “respektierte“ Übergangsstadien geben, begleitet von “identitätbildenden“ Tattoos, Bärten, Bioläden und veganer Ernährung – und vielen weiteren diversifizierten Scheinidentitäten im Strassen- und Stressalltag – begleitet von “bewusstseins-erweiternden“ Engagements im Sinne einer “besseren“ Welt.

 

 

 

 

 

 

 

 

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