Unsere Fähigkeit, uns mit einem anderen Menschen in einer Partnerschaft zu verbinden, kann unterschiedlich stark ausgebildet sein. “Ausgebildet“ wird hier in übertragenem Sinn verwendet. Denn wir reden nicht davon, dass ein Mensch Beziehungsfähigkeit lernen kann, wie ein Handwerk. Andererseits könnten wir fragen: Warum eigentlich nicht? Schließlich gibt es Ratgeber zur Liebe, Sexualität, zu Kindern und Familie oder Partnerschaft zu Hauf. Nach dem Motto: Wir holen uns gerne mal einen Rat. Beim Nachbarn, im Internet oder eben auch in einem Buch. Wir belegen einen Volkshochschulkurs oder nehmen einen Health-Coach in Anspruch. Wir laden eine neue App runter, um uns selbst zu optimieren. Wenn es ganz doof (oder ganz gut?) läuft, besuchen wir einen Therapeuten.
“Beziehung ist einfach und hochkomplex zugleich.“
All das bedeutet aber noch lange nicht, dass sich ›Beziehung‹ wirklich lernen ließe, wie Yoga oder Gitarrespielen. Der Grund dafür ist vielleicht: Beziehung ist einfach und hochkomplex zugleich. Bei einem Hobby habe ich ein Anforderungsniveau, das ich gut eingrenzen kann. Ich will auf der Gitarre nicht gleich wie Jimi Hendrix spielen oder Yoga wie eine Guru aus Indien beherrschen. In der Liebe will ich das schon: so gut wie möglich sein, denn ich will ja glücklich sein. In gewissem Sinne bin ich darauf angewiesen, mein eigener Guru (oder der der Partner*in) zu sein. Denn wenn ich die Liebe auf halbherzigem, sagen wir ruhig: amateurhaftem Niveau ausübe, ist das möglicherweise für meine Partner*in nicht genug. Das ist das eine Problem.
Aber es kommt noch schlimmer. Selbst wenn ich zu der Einsicht gelangt bin, dass jegliche Liebe in jeglicher Beziehung immer ein unvollendetes und beileibe nicht perfektes Werk bleiben wird, so wird in beiden Beteiligten doch immer der Wunsch nach dem Ideal lauern – die Liebe soll immer so schön wie möglich sein. So sicher wie möglich auch. So ehrlich wie möglich sowieso. Und bitte schön so aufbauend und psychisch stabilisierend wie es nur geht. Dabei scheint klar zu sein: All das geht nicht. In der Liebe nicht, in der Beziehung nicht.
Können wir hier etwas verbessern, indem wir unsere Herzensbildung vergrößern? Und was würde diese beinhalten? Vielleicht Romane über die Liebe lesen und gleichzeitig etwas über Quantenphysik verstehen? “Psychologie heute“ abonnieren und (dann doch…) möglichst viele Ratgeber studieren? Wir könnten mindestens mutmaßen, dass eine größere Fähigkeit, mit Worten differenziert umzugehen, sich selbst besser erklären zu können, aber auch die Partner*in besser mit Worten fühlend zu beschreiben, hilfreich sein wird. Schließlich können Worte helfen, starke Emotionen besser in einen Ausdruck, in eine Mitteilung zu bekommen. Insofern hätte dann Beziehung mit Bildung zu tun. Und fassen wir die häusliche Gewalt als das untere Ende der Skala hinsichtlich “Niveau einer Beziehung“ auf, scheint es auch so zu sein, dass häusliche Gewalt statistisch häufiger in bildungsfernen sozialen Schichten vorzukommt – wenngleich es auch in akademischen Schichten häufiger Gewalt gibt, als allgemein angenommen. (https://manndat.de/feministische-mythen/haeusliche-gewalt/haeusliche-gewalt-kommt-in-allen-sozialen-schichten-vor.html Link vom 14.11.2020).
“Diese Fähigkeit kann unsere innere Sprache
mit dem äußeren Verhalten auf eine Weise verweben…“
Die Fähigkeit, sich selbst eingebunden in sozialen und intimen Situationen gleichermaßen von innen, undistanziert und von außen, aus der Vogelperspektive zu beobachten und daraus differenziertere Verhaltensmuster aufbauen zu können, ist an eine stark trainierte Denk- und “Fühlfähigkeit“ gebunden. Diese Fähigkeit kann unsere innere Sprache mit dem äußeren Verhalten auf eine Weise verweben, die ohne “Ausbildung“ schwer zu erlangen ist. So wird in modern ausgerichteten Schulen Kommunikation innerhalb einiger Fächer wie Ethik, Lebenskunde oder auch in Deutsch unterrichtet. Ob das aber ausreicht, die mehrgenerationalen Musterbildungen von “Beziehungssprachen“ in eine fortgeschrittenere Kultur des Miteinanders zu führen, ist sehr fraglich. Dazu ist der pädagogische Druck, in den Schulen überhaupt noch bestimmte soziale Gruppen erreichen zu können viel zu hoch. Gleichzeitig haben die Medien und allem voran das Internet längst eine sprachbildende Funktion übernommen. Von der allerdings getrost bezweifelt werden kann, ob sie die Beziehungsfähigkeit der nachkommenden Generationen verbessern wird. Das nach wie vor ungelöste gesellschaftliche Bildungsproblem, es wird eben zunehmend auch zu einem Beziehungsproblem in und außerhalb der Familien. Es wird zunehmend zu einem Problem sozialpsychologischer Schieflagen und der zeitnah resultierenden gesellschaftlichen Gewalt – bishin zu Terror, organisierter Kriminalität und der Gefahr der Auflösung einer freiheitlichen Grundordnung.
Wir können von innen nach außen denken, in unseren Beziehungen und umgekehrt von außen nach innen. Beides jedoch braucht die Reflexion und die gesellschaftlich unterstützende Begleitung. Es braucht Ausbildungen darin, in Beziehungen gleich welcher Art gehen zu können – um dort differenzierter und zufriedener wirken zu können.
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