Wir Menschen sind äußerliche Wesen, einerseits: Das ›Außen‹ erreicht uns, oft stärker als wir es wollen, in Form von allen sinnlich erfassbaren
Dingen. Gerüchen, Geräuschen, Licht und Farben, Berührungen. Wir reagieren mit Lust oder Ekel, mit Entspannung oder Stress. Unser Verhalten orientiert sich an dem, was wir wahrnehmen. Wahrnehmung
ist ein primärer Vorgang, wie es sich an Säuglingen und Kleinkindern beobachten lässt. Ihre Kommunikation ist komplett von äußeren Reizen abhängig und ihre Zufriedenheit oder ihr Stress-Alarm
eine direkte Antwort auf die Verarbeitung dessen, was im Außen wahrgenommen werden kann (oder was fehlt).
Andererseits ist in der Welt der Erwachsenen ein überwiegend “äußerlicher“ Mensch nicht unbedingt positiv bewertet: Wer nur an
Schmuck, schnellen Autos und anderen Statussymbolen interessiert ist, erscheint uns nicht sehr attraktiv. Es geht uns, aber ja doch! – auch um Inhalte, selbst dort, wo die Dominanz von
äußeren Symbolen das zu verneinen scheint: Inhalte sind, so scheint es, ebenso äußerlich wie innerlich. Ein schönes Auto hat Einflüsse auf unsere Emotion, die ja zunächst ein innen erlebter
Vorgang ist.
Über diesen ließe es sich auch anspruchsvoll und nicht nur äußerlich im Smalltalk reden. Dennoch: Die viel zitierten, wirklich gemeinten “inneren Werte“, sie scheinen den lediglich materiellen
Werten der Äußerlichkeit zu widersprechen.
Und nein! – die äußeren Reize meiner Partnerin* (dazu gehören auch: soziale Eckdaten, Bildung, Status etc.) sind nicht in der Hauptsache das, weswegen ich sie oder ihn liebe. Ich liebe sie/ihn nur als Mensch und Freund, PartnerIn. Auch wenn wir selbstverständlich wissen, dass das in vielen Fällen mitnichten so ist. Aber das sind nicht unsere Fälle. So denken wir.
Nun, letztlich sind “Innen“ und “Außen“ Konzepte unseres Denkens. Wir denken, dies hier ist die Außenwelt und das hier ist meine innere Bewertung
in meiner eigenen Welt des Fühlens und Denkens. Aber hier wird es komplexer. Wenn ich im Außen etwas wertschätze, unabhängig davon, ob es ein Kunstgegenstand, ein Statussymbol oder ein Gespräch
darüber ist, kann ich dies auf die gleiche Weise tun, wie ich eine Beziehung wertschätze und pflege. “Freundschaften muss man pflegen“ – diese Sinn-Übertragung von der Pflege eines Gegenstandes
zur Pflege einer sozialen Situation könnte uns helfen besser zu verstehen, worum es bei Innerlichkeit und Äußerlichkeit geht. Dazu später mehr.
Kehren wir zunächst zur frühkindlichen Wahrnehmung zurück. Wir können beobachten, dass Kleinkinder nicht nur wahrnehmen, sondern ihre
Wahrnehmungen zunehmend auch bewerten, sie in gut oder schlecht einteilen. Oder mindestens in interessant und langweilig. Sie befinden sich in einer kontinuierlichen Umlaufbahn des “hin zu“ und
“weg von“ – bezogen auf ihre Wahrnehmung und daraus resultierende Verhaltensimpulse. Dieses letztlich biologisch-kommunikative Grundprinzip wirkt auch in uns Erwachsenen weiter. Allerdings hat
sich unsere hoffentlich entwickelte Fähigkeit, Dinge abzuwägen, Entscheidungen zu reflektieren, Bewertungen zu hinterfragen hinzugesellt. (vergl. hier auch
Daniel Kahnemann: Schnelles Denken, Langsames Denken).
Will sagen: Wir sind nicht willfährig abhängig von unkontrollierbaren Verhaltensimpulsen aus Reiz und Reaktion. Wir können unser Denken nutzen, um
soziale Situationen/Kommunikationen und ihre Implikationen zu hinterfragen.
Aber gelingt uns das? Wenn wir auf unser immer stärker an äußeren Faktoren und Reizen orientiertes Leben schauen, das uns letztlich alle erfasst und manipuliert,
tauchen Zweifel auf. Soziale Hinwendungen zu Spiritualität und Wellness, Esoterik und Beziehungs-Yoga bestätigen letztlich diese Diagnostik, meist, ohne ihre zu Grunde liegenden Symptome
nachhaltig (!) zu therapieren. Und können wir unsere innere Welt überhaupt unabhängig in-uns-einstellen, um uns zwischen Außen und Innen zu regulieren und orientieren?
“Wir vermuten, unsere Innensicht auf unsere PartnerInnen unabhängig von den Bewertungen der äußeren Kultur zu erleben.“
Wir könnten auch fragen: Welche Einflüsse hat die äußere Welt auf unsere Beziehung(en) zu anderen Menschen und zur Welt? Wir vermuten, unsere
Innensicht darauf unabhängig von den Bewertungen der äußeren Kultur zu erleben. Unsere Beziehungen, sie sind ein Ergebnis einer inneren, einer emotional gebundenen Wahl. Vielleicht gibt es
familiäre Einflüsse, vielleicht solche des Glaubens, der Religion und der sozialen Schicht. Aber letztlich glauben (!) wir an unsere Innenwelt, die uns erlaubt, in
der Liebe und in den Freundschaften unabhängige und richtige Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die aber allzu oft im Leben von der Realität überholt werden und uns mit Enttäuschung,
Desillusionierung oder gar Verrat und Vertrauensverlust konfrontieren. Unsere Wahl scheint schlechtenfalls das Ergebnis einer Täuschung, eines Selbstbetruges gewesen zu sein.
Die gute Nachricht: Nein, das ist nicht so. Denn das Leben bedeutet (oft in letzter Instanz) soziales Lernen und zum sozialen Lernen gehören
Irrtümer und Fehleinschätzungen dazu, je nachdem wie gut ich in meiner Herkunft darin ausgebildet wurde. Mein inneres Erleben ist zu 100 Prozent abhängig davon, was ich an innerem Erleben
entwickeln und lernen konnte. Die Wahl eines Partners*, der mich enttäuscht (oder weiterhin beglückt) hat, ist insofern auch das Ergebnis meines eigenen inneren Entwicklungsstandes, d.h. meiner
Fähigkeit emotional richtige Einschätzungen zu treffen, Menschen schnell zu fühlen, sie gut zu “lesen“ und anderes mehr. Es ist möglicherweise auch das Ergebnis personaler und charakterlicher
Veranlagungen (so wir an diese Konzepte glauben): wieviel Offenheit trage ich in mir, wie verträglich bin ich anderen gegenüber und so weiter.
“Es gibt nichts Inneres, welches nicht unabdingbar auf äußeren Merkmalen und Kriterien beruht.“
Hinzu kommt: die menschliche Fähigkeit unseres wahrnehmenden Bewusstseins, soziale Situationen (siehe oben) letztlich als etwas
“Dinghaft-Materielles“ zu betrachten, erlöst uns ein Stück weit von der Illusion, wir könnten wirklich innere Entscheidungen treffen. Denn es gibt nichts Inneres, welches nicht unabdingbar (sic!)
auf äußeren Merkmalen und Kriterien beruht. Der Dualismus zwischen Innen und Außen ist, ähnlich dem zwischen Denken und Fühlen, nur ein mentales Konzept. Dieses Konzept hilft uns, nicht den
Verstand zu verlieren, wenn wir unsere eigenen Wahrnehmungen letztlich komplett auf die Außenwelt zurückführen müssen, nur um dann doch auf unser einsames Selbst zurückgeworfen zu sein, welches
als von Außen getrennt und abgelöst wahrgenommen werden kann – und oft auch muss.
Fazit: Unsere äußere Welt bestimmt uns. Die Vorstellung unserer inneren Welt ist, einerseits, ein Trugbild. Denn menschliches
Bewusstsein besteht aus mentalen Repräsentationen äußerer Welt. Diese reflektieren das Äußere in einer inneren Abbildung, ohne sich letztlich von dieser lösen zu können. Selbst wenn ich in einer
Meditation nur meinem Atem lausche, bleibt mein Gewahrsein unauflösbar verflochten mit der Wahrnehmungsfähigkeit meines Denkens, welches sich über die Wahrnehmung im Außen ebenso orientiert, wie
über den Mehrwert innerer Erkenntnisse. Neurologisch gesehen ist Denken und Fühlen, andererseits, ein durchaus in sich abgeschlossener Innenraum (die “Black Box“ des eigenen
Bewusstseins). In diesem Innenraum bleiben uns, positiv gesprochen, innere Oasen, wo wir uns abseits aller Fremdmanipulation in unserem Selbst einfinden und wahrnehmen können. Vielleicht können
wir hier einen wahren Kern unseres Selbst verspüren, nur um diesen im nächsten Moment schon im Ozean der Empfindungen, der unendlichen Momente schwankender Wahrnehmungen, der unsicheren Gefilde
des eigenen vom Außen abhängigen Denkens wieder zu verlieren. Dieser andauernde “Verlust“ – auch er ist eine gute Nachricht.
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