Die Generation der in den 30-iger Jahren Geborenen geht in diesem Jahrzehnt langsam von uns. Und mit ihnen
ein immenser Teil der Geschichte, die aus einer Zeit stammt, die meine Generation (60-iger Jahre) der Kriegsenkel
noch aus den Erzählungen der Großeltern und der eigenen Eltern kennt. Eine Geschichte, die aber, so scheint es,
in unseren Tagen zunehmend in anderen Diskursen verschwindet.
Auf der Ebene der bedeutsamen Familienbeziehungen und Rollen wird dieses Verschwinden starke Auswirkungen haben, das ist zumindest meine Befürchtung.
* die Geschichte darüber, was es heißt Mutter oder Vater zu sein, welche Werte, Emotionen und Narrative damit verbunden sind in unserer Kultur, sie ist in Gefahr, nicht auf eine Weise
erzählt zu werden, die nachfolgende Generationen über das informiert, was in diesen Rollenbildern und Familiengeschichten wirklich passiert ist.
* der Nationalsozialismus, aber auch das, was davor in der Weimarer Republik war, wird zwar politisch-historisch vermittelt, aber zu wenig in den Bedeutungen diskutiert, die er auf unsere
psychosozialen Gesellschaftsstrukturen und Narrative bis heute hat und auch weiterhin haben wird. Mit dem Abschied von der 30-iger Jahre Generation kann diese Geschichte noch weniger
erzählt werden, als bisher. Auch habe ich den Eindruck, sie soll nicht so sehr erzählt werden, wie sie wirklich war. Schließlich ist diese Generation die Großelterngeneration oder 80-iger und
90-iger. Und die soll nicht in den Schmutz dieser Geschichte gezogen werden. Sie waren schließlich alle noch Kinder, damals.
Als ob es darum ginge. Aber um was geht es? Geht es nicht, nach wie vor, in diesem Land, das politische Desaster aus den 30-iger Jahren doch möglichst fein und säuberlich von den mehrgenerational
wirkenden psychischen Verwerfungen zu trennen? So als ob das Thema ›Familie‹ mit all dem nichts zu tun gehabt hätte. Schließlich haben die 60-iger (und in ihnen die Generation der in den
30-iger und 40-igern geborenen Großeltern der heute 30 bis 45 Jährigen) ordentlich “aufgeräumt“ –
Wir wurden linker, sexuell befreiter, grüner und insgesamt ziemlich gute Menschen. Das hält bis heute an. Wir sind ziemlich gute Menschen. Und schließlich haben wir alle, die heute so zwischen 28
und 65 sind (hier fasse ich mal zusammen) brav unsere Psychotherapien und Analysen gemacht. Wir haben getrauert und trauern weiter oder versuchen endlich unser ›ich‹ und unser ›Selbst‹ zu finden.
Wir wollen wieder ›Wir selbst‹ sein, ohne selbstverständlich zu wissen, wer ›wir‹ oder ›ich‹ in Bezug auf die Gesellschaft und die Familien sein soll. Nein, wir wissen es nicht im Geringsten und
wollen das vermutlich auch gar nicht so genau wissen. Wie man so schön sagt.
Hauptsache wir verstehen uns und alles wird nun endlich gut. Und Hauptsache wir sind gut darin., jetzt gut zu sein und zu bleiben. Schließlich soll nichts Böses mehr passieren auf der Welt. Und
doch passiert es laufend, heutzutage sozusagen vor unseren medial trainierten Augen: es gibt Krieg, Pandemien, Klimawandel. Und alles hat vielleicht damit zu tun (dann doch!??), dass die Alten
… die Großeltern, die Eltern (?) – dass sie d a n n d o c h zumindest ein bisschen verantwortungslos waren? (siehe Greta Thunbergs Ausfälle vor der Uno etc.).
Wer war jetzt gut, wer war ein bisschen schlecht? Ich gebe zu, das sind naive und pejorative Fragen. In Bezug auf Politik und Gesellschaft … a b e r … was wurde aus den Familien der
30-iger Jahre, ihren Mütter- und Väterbildern, ihrer Liebesfähigkeit, ihren Bindungsmodellen und Werte-Erzählungen? Meine Antwort an dieser Stelle ist: Kaum etwas wurde so stabil weitererzählt,
wie die Rollenmodelle aus den 30-iger-Jahren, jedenfalls bis weit in die 90-iger Jahre hinein. Die überhöhten Mütter-Bilder blieben lange bestehen, zB noch heute oft darin ausgedrückt, dass
angeblich nur die Mutter die wahre und einzig gute Bezugsperson für ein Kind sein kann. Wissenschaftlich ist das absoluter Unfug – schließlich starben ein Großteil der Menschheitsgeschichte viele
Mütter viel zu früh, als dass die Natur nicht für eine generelle Bindungsfähigkeit von Kleinkindern gesorgt hätte. Und dies ist nur ein Argument. Aber es (das überlieferte Rollenmuster)
drückt sich zB auch darin aus, dass Väter bis weit in dieses Jahrtausend hinein nicht selbstverständlich das gemeinsame Sorgerecht hatten. Sie sollten zahlen, aber nicht liebevoll sich zuwenden.
Das immerhin ist heute ein bisschen (!) anders. Aber hat es Konseqeunzen in der Tiefe unseres Denkens, unserer klischee-behafteten Annahmen?
Die Werte und Emotionen in den Familien, sie wurden in diesem Land (abseits der 60-iger Jahre) selten wirklich so diskutiert, dass die zugehörigen Rollenbilder und Ideologien aus alter Zeit
hätten transformiert werden könnten.
Schließlich konnten wir uns, nachdem die Hippie-Träume der 60-iger irgendwei doch nicht so verfingen, der weltweit wirksamen, eher konservativ-patriarchalischen Anlage der Familienbilder gewiss
sein. Fast scheint es, als hätten
wir gedacht: “Der Markt wird es schon richten.“ Nun ja, wenn man auf die exponetiell angestiegene Kurve der Single-Haushalte schaut, könnte das sogar stimmen. Hat diese Tendenz mit der Verweigerung von Rollenbildern und Familie zu tun? Oder nur mit der Überalterung unserer westlichen Gesellschaft?
Jedenfalls wird nach wie vor zugeschaut, wie der globalisierte Kapitalismus familiäre Strukturen unter Beschuss nimmt (Vgl. Richard Sennet, Der flexible Mensch).Das Buch stammt allerdings schon von 2001..
In China musste gar ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, das Kinder verpflichtet, sich um ihre alten und ggf. kranken Eltern zu kümmern. Sie haben schlicht keine Lust mehr dazu.
Hat aber all das Folgen für unsere gesellschaftliche Politik? Nein, man schlängelt sich durch und versucht, Familie als pragmatisch ideologiefreien Raum zu bevölkern (Entschuldigung für das Wort…). Was sie definitiv nicht ist. Dennoch ist das durchaus auch verständlich, sind doch die eigentlichen psycjsozialen Probleme, die die alten Rollen- und Familienmodelle uns heute bescheren (wenn man diesen Zusammenhang denn herstellen will) so heftig, dass es einfacher ist, sie hinter ADHS-Diagnosen, Boderliner-Narrativen. Handys und globalisiertem Medien-Tamtam zu verbergen. Und es ist einfacher, auf der politischen Ebene und medienwirksam “metoo“ oder “Klima“ zu schreien, als in die Abgründe dessen einzutauchen, was Beziehung und Familie, Beziehung und Gesellschaft wirklich bedeuten oder bedeuten könnten.
“Veränderte Rollenbilder würden veränderte Eigentums- und Berufsbilder implizieren.“
Ja, es ist einfacher, Werte, Emotionen und Rollen im Unklaren zu lassen, als auf die Komfortzone der wohlstandsgesättigten “Tradition“ dann möglicherweise doch ein Stück weit verzichten zu
müssen. Denn veränderte Rollenbilder würden veränderte Eigentums- und Berufsbilder implizieren. Ob es um das Einfamiienhaus, den SUV oder den Moutainbike-Urlaub in Tirol oder die “Mal eben in die
USA-Reise“ geht – Veränderungen in Beziehungskonzepten innerhalb der Gesellschaft und Familie würden eben auch das alles in Frage stellen. Und selbstverständlich gilt: nein, nein. So weit
wollen wir aber doch nicht gehen. Wohlstand und Beziehung und Familie – was soll das miteinander zu tun haben?
Hinzu kommt: Die Techni- und Digitalisierung, die Globalisierung: sie ändern doch sowieso alles, inklusive der Rollenbilder, der Familienstrukturen, inklusive unserer Wahrnehmungsfähigkeit,
unserer Kontaktfähigkeit und unserer Körperlichkeit. Warum also sollten wir uns noch mit den 30-iger Jahren, den alten Zeiten, abmühen. Lieber greifen wir noch möglichst viel vom
Nachkriegswohlstand ab, schließlich ist dieser das, was die 30-iger uns als Positives (!) hinterlassen haben. Ihre Werte, ihre Emotionen, ihre Rollenfähigkeiten? Die haben wir doch längst
transformiert oder wir tragen die Probleme auf anderen Ebenen aus (siehe oben).
Wir haben sie nicht transformiert. Und wir wissen das ganz genau? Wohl wissend: Wir haben ja auch die Symptomträger für das alles in bequemer Reichweite. Es ist so schön einfach, auf die
schmutzig gegenschwappende Gesellschaftsbrühe namens AfD, Querdenker und Populismus zu schauen. Dabei eine Art heiligen Ekel zu empfinden und das wieder in dem Bewusstsein, zu den “Guten“ zu
gehören. Was aber ist “gut“ – in Familien und Rollenbildern?
Kürzlich wurde einem Klienten meines Alters (“Babyboomer“) innerhalb der Familie vorgeworfen, einen Verschwörungsmythos zu konstruieren. Weil er wohl zu sehr auf familiäre Verwerfungen und eine
“Täter-Stellung“ seines Vaters verwiesen hatte, sich selbst zum Opfer hätte machen wollen. So einfach geht das heute alles. Es soll nicht differenziert diskutiert werden, es reichen ein paar
Schlagwörter, um den anderen mundtot zu machen. Kein Wunder, die diskursiven Vorbilder für dergleichen “Stilllegung“ oder “Schweigepflicht“ finden sich tagtäglich in den Medien. Von dort
gelangen sie eben auch in die Familien.
Gibt es, bei all dieser (ich gebe es zu: nicht unvoreingenommenen) Kritik, eine Lösung? Zumindest würde ich eine Hoffnung formulieren wollen. Die Hoffnung, dass die psychologischen
Narrative der 30-iger Jahre auf den Familien-Ebenen endlich anders besprochen und verstanden werden können. Die Hoffnung, dass irgendwann mal doch so
nachgefragt und nachgedacht wird, in Familien, wie es m. E. notwendig wäre.
Kommentar schreiben