Wir sind gewohnt unsere Gefühle ernst zu nehmen. Sie sind wahr und sie sind unsere Reaität. Doch woher kommen sie, wenn sie uns ereilen?
Wir vermuten sie in uns, wie wir unsere Organe und unsere Knochen in uns wissen. Sie sind unser Zustand, in dem und durch den wir uns fühlen.
Aber sind wir identisch mit unseren Gefühlen? Ihnen ausgeliefert wie dem Wetter oder der biologischen Zeit? Wer spricht in unseren Gefühlen, wenn nicht wir selbst
und in unserem ›Selbst‹ unser Körper und unser Bewusstsein? Die Gefühle scheinen ein Teil von uns zu sein, aber wo halten sie sich auf?
Die Antwort kann nur lauten: Nirgendwo. Denn Gefühle haben keine materielle Gestalt. Vielmehr nutzen sie unsere materielle Gestalt, um sich in ihr auszuprägen: Wir
werden rot oder blaß vor Wut. Unser Körper zittert vor Angst. Der Magen schmerzt vor innerem Stress.
Wenn die Gefühle aber kein ›Ding‹ sind, können sie im Umkehrschluss nur das Ergebnis von nicht-materiellen Prozessen sein, von intersubjektiven Prozessen der
Kommunikation. Kommunikation nutzt den Körper und seine Fähigkeit zu Gefühlen, ebenso wie seine Fähigkeit zum Denken und zum kritischen Hinterfragen unserer eigenen Impulse, der eigenen Gefühle,
der eigenen Gedanken.
Alles ›denkt‹ mit: der Körper, seine Empfindungen, seine Gefühle, seine Instinkte und Intuitionen in ihrem Versuch, die systemischen Mitspieler im Prozess der
Wahrnehmung zu einheitlichen Handlungsimpulsen und/oder Kommunikationen zu verbinden. Ein Vabanque-Spiel, denn das Risiko, “Fehler“ zu machen in der Integration eigener Wahrnehmungen ist
sehr hoch. Und damit auch das Risiko, andere durch “fehlerhafte“ Interpretationen unserer zutiefst eigenen biografischen Erinnerungen von Gefühlen nicht nur falsch zu verstehen, sondern womöglich
auch Andere durch emotionale Angriffe zu schädigen.
Der Körper also, und sein Bewusstsein. Die Gefühle, und ihr Verstand. Unsere Vernunft. Bis hin zu Instinkt und Intuition (zur Unterscheidung von den beiden siehe
nächster Blog). Und nicht zuletzt die Sprache als bewusst ausgeformte Kognition bzw. auch als bewusst ausformender ›Agent‹ der Kognition – und der Gefühle…
Das sind ganz schön viele Mitspieler in einem komplexen System. Sie können kooperieren oder auch harte Gegenspieler sein.
Doch noch immer haben wir nicht beantwortet, woher die Gefühle, unsere Gefühle kommen. Man könnte etwas vereinfacht antworten: aus der Vergangenheit, die wir zu
unserer Gegenwart umschreiben. Gefühle resultieren aus bewusster und (vor allem) unbewusster Erinnerung. Diese treibt uns dazu, die Gegenwart in ihrem Sinn zu gestalten. Oder auch gegen ihren
Sinn, wenn die Erfahrungen mit ihnen keine guten waren.
Man stelle sich das vor: Erinnerte Gefühle gestalten unsere Wirklichkeit in einer Art “Gegensinn“, gleichsam gegen die Uhr und gegen die Zeit, als ob es gelte, das
Alte der Vergangenheit in eine neue, verbesserte Wirklichkeit zu transformieren. Selbst im Falle positiver Erfahrung wird unser Bewusstsein versuchen, diese wiederherzustellen, noch besser
womöglich als zuvor. Als ob das früher Erfahrene unwirklich werden könnte in der bloßen Erinnerung. Die Vergangenheit und ihre gefühlte Erfahrung hat uns voll im Griff, denn nur durch sie gehen
wir durch die Gegenwart in die Zukunft.
Ein älterer Herr aus meiner Verwandtschaft sagte einmal: “Ich wünschte, es gäbe keine Erinnerung.“ Er konnte mit seinen eigenen Gefühlen nicht umgehen, sie
überwältigten ihn dermaßen, dass er lieber alles vergessen würde. Aber die Demenz erlöste ihn nicht, sondern seine Frau. Das ist eine andere Geschichte.
Aber muss das so sein? Können wir unsere Gefühle, die unsere Erinnerung sind, nicht doch auch steuern und im Sinne eines produktiven Umgangs damit modulieren? Sie in
einem Spiel der Reinszenierung anders ausdrücken, neu erfahren und damit auch umschreiben? Das genau ist die Kunst der Kommunikation mit sich selbst und mit Anderen. Und vielleicht ist das sogar
das Geheimnis der Sprache: Sie hilft uns, unsere unbewussten Erinnerungshandlungen (damit ist hier nicht das Freud’sche “Unbewusste“ gemeint, sondern das heutzutage neurologisch erforschte
›Vorbewusste‹) zu verstehen, indem sie sie beschreibt und erzählt.
In dieser ›Erzählung‹ gibt es übrigens wenig Objektives. Denn auch sie ist ein Prozess der Kommunikation, der in uns selbst abläuft, indem Erinnerung, Bewertung von
Erinnerung, Erkenntnisse und Verstehensprozesse, Lernen und andere Faktoren uns leiten, um wiederum neue Wirklichkeit zu erschaffen, die sich in Sprache und ›Sprechakten‹ (den sprachlich-kognitiv
geleiteten Handlunsgentschlüssen) formulieren kann.
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